Die O-Antiphonen

Die O Antiphonen des lateinischen Stundengebetes im Advent

In den vorweihnachtlichen O-Antiphonen – sie beginnen alle mit O (O sapientia, O Adonai…), daher ihr Name – liegt ein herrliches Beispiel früher geistlicher Dichtung vor. Möglicherweise reichen die Wurzeln dieser Gesänge, in denen um das Kommen des Herrn gebetet wird, zurück bis in die Zeit, als im syrisch palästinensischen Raum die in 9 Oden aufgeteilte Kanondichtung entstand (entsprechend den 9 biblischen Cantica, von denen jedoch an den meisten Tagen nur 8 gesungen werden und die mit dem Gesang der Gottesmutter, dem Magnificat, schließen).

In der römischen Kirche werden heute 7 O-Antiphonen verwendet und zwar jeweils als Antiphon zum Magnificat der Vesper vom 17. bis zum 23. Dezember. Ursprünglich könnten es, nach Ausweis des Antiphonars von Compiègne, das eine der ältesten Handschriften dieser Art darstellt, 8 Antiphonen gewesen sein. Ihre Verwendung im Gottesdienst war nicht einheitlich; so verzeichnet sie das genannte Antiphonar als „Antiphonae maiores in evangelio“ (der Matutin).

„Advent“ (Ankunft) im alten Sprachsinn meint „Epiphanie“, „Parusie“, womit im Griechischen das strahlende und glorreiche Kommen Gottes auf Erden, zum Heile aller Menschen gemeint ist. Bei den O-Antiphonen schwingt das christliche Mysterienveerständnis mit, daß das, was in der Kirche als Mysterium vollzogen wird, immer wiederkehrende Epiphanie und fortwährender Advent unseres Herrn in dieser unserer Welt ist.

Schließlich und endlich die eschatologische Sicht des Advents. So finden wir in der ältesten römischen Evangelien-Liste sowie in den mittelaterlichen Missalien diese Thematik am 1. Adventsonntag wunderbar aufgezeigt in der Verlesung des Evangeliums vom Einzug des Herrn in Jerusalem (Mt 21, 1-9). Die Perikope schließt bezeichnenderweise mit den Worten: „Benedictus qui venit in nomine Domini“ (Gebenedeit sei der da kommt im Namen des Herrn!)

Advent ist so gesehen die rechte Hinführung zum gesamten Heilsgeschehen im Kirchenjahr und umfaßt die ganze Heilsökonomie. Eingeschlossen liegt hierbei die Sicht von der Ankunft des Herrn im Fleisch des sündigen Menschen; sie wird beendet am Kreuz, das dadurch anstatt des Fluchholzes zum Baum des Lebens wird.

Ebenso kling immer wieder der Gedanke der zweiten Ankunft des Herrn auf, in seiner glorreichen Wiederkehr am Ende der Zeiten.

Die alte Sicht von „Adventus Domini“ und die geistliche Dichtung der O-Antiphonen haben also zwei nebeneinander herlaufende Aussagen: die eine weist auf Weihnachten als den Tag der Geburt des Herrn hin, die andere auf den Kyrios, den Herrn, dessen Theophanie sich in der Kirche Tag für Tag bis zum Weltende eereignet.

So wird Advent immer Erwartung und Erfüllung, Hoffnung und geschenktes Mysterium sein.

Thiermeyer, Abraham, Die vorweihnachtlichen O-Antiphonen, in: Gamber, Klaus, Ein kleines Kind – der ewige Gott. Bild und Botschaft von Christi Geburt, Pustet, Regensburg, Beiheft zu den Studia patristica et liturgica, Bd. 2, S. 77

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